Erzurum – Silopi, 26.1 – 31.1.2017, 7787km

Erzurum – Silopi, 26.1 – 31.1.2017, 7787km

**50 Shades Of White**

Die Straße rief mich wieder und bei angenehmen -5°C verließ ich am Donnerstag, 26.1, Erzurum Richtung irakische Grenze und auch ins Ungewisse. Denn über die kurdische Region der Türkei schreibt das Auswärtige Amt Folgendes:

Von Reisen in das Grenzgebiet der Türkei zu Syrien und Irak, insbesondere […] Cizre, Silopi […] sowie […] Şırnak wird dringend abgeraten.
In den letzten Monaten wurden mehrfach „zeitweilige Sicherheitszonen“ eingerichtet und Ausgangssperren verhängt, darunter in Cizre, Silopi […]. Sicherheitszonen und Ausgangssperren werden streng kontrolliert, das Betreten der Sicherheitszonen ist strikt verboten, eine Verletzung der Ausgangssperren kann im Falle von Kampfhandlungen lebensgefährlich sein. Zur Einrichtung von Sicherheitszonen und Verhängung von Ausgangssperren kam es bisher […] entlang der Grenze zum Irak sowie […] südöstlich der Ortschaft Cizre (Dreiländereck Türkei – Syrien – Irak) […]. Quelle: Auswärtiges Amt, Stand 20.2.2017

Das klingt natürlich unglaublich gefährlich, aber da nach meiner Erfahrung diese Reisewarnungen bzw. -hinweise sehr ambivalent sind und aktuelle Reiseberichte nicht von Gefahren berichten sowie Couchsurfingkontakte vor Ort mir nicht zum Kommen abgeraten haben, sah ich keinen Grund, meine Route irgendwie anzupassen. Es war eine einmalige Chance für mich, die autonome Region Irakisch-Kurdistan zu besuchen und diese wollte ich nicht einfach so aufgeben.

Aber zurück nach Erzurum. Nach circa 30km stetigen Anstieges wurde das Wetter ungemütlich. Der Wind frischte auf und es begann heftig zu schneien. Stoisch fuhr ich weiter, was sollte ich machen? Umkehren kommt nicht nicht in Frage. Derweil kamen mir jedoch viele Autos entgegen, die scheinbar ein paar Kilometer weiter gewendet hatten und riefen mir „Erzurum! Erzurum!“ zu. Lächerlich, mit dem Auto war es natürlich einfach, den Pass zu umfahren und so extrem schlimm war es dann mit dem Fahrrad doch nicht. Ich fuhr an stecken gebliebenen LKWs vorbei und nach einiger Zeit hielt ein Pick-Up an. Ich gab nach und ließ mit ca. 40km mitnehmen. Am späten Nachmittag wurde ich dann mit den beiden in eine Moschee zum Essen eingeladen und bemerkte beim Weiterfahren, dass meine Thermoskanne beim Transport leider verloren gegangen war. Ich fuhr und fuhr, es war dunkel und schneite weiter unaufhörlich und es gab keine Möglichkeit des Nächtigens. Am Pass auf 2390m Höhe angekommen gab es jedoch eine Station der Straßenwacht, wo die ganzen Räumfahrzeuge untergebracht waren. Licht brannte und ich fünf Minuten lang bat ich rufend um Einlass. Dieser wurde mir dann auch gewährt und natürlich durfte ich die Nacht dort verbringen und wurde aufgepäppelt.

Die Straßenwacht lag an einer Hauptstraße, die ich am folgenden Tag jedoch nach ca. 20km auf eine kleine Verbindungsstraße verlassen musste. Ich war gespannt, wie der Zustand dieser Straße war. Ich fuhr meist auf der linken Seite, da diese besser geräumt war. Vielleicht nicht ganz korrekt, aber man erwartet doch, dass sich nähernde Autofahrer ihr Tempo anpassen und kontrolliert überholen. Aber nein, nicht in der Türkei: Plötzlich bekam ich mit, wie ein Auto links an mir vorbeischoss und dann im Tiefschnee stecken blieb. Ich versuchte bestimmt 20 Minuten zusammen mit den Insassen erfolglos das Auto zu befreien und fuhr dann weiter, als ein Räumfahrzeug zum Helfen vorbeifuhr.
Die Verbindungsstraße stellte dann eine Herausforderung dar. Teilweise kaum von der umliegenden schneebedeckten Landschaft zu erkennen, quälte ich mich schlingernd und schiebend Richtung Varto. Ein Taxi mit aufgeregten Insassen riet mir anfangs immer wieder vom Weiterfahren ab (Kälte und attackierende Wölfe, bla bla bla). Als ich die Regionengrenze zwischen Bingöl und Mus passierte, wurde die Straße schlagartig wieder normal befahrbar, ich muss den Räumfahrzeugen von Mus wirklich meinen Dank aussprechen. Am Nachmittag hatte ich dann die erste Begegnung mit der Polizei. Ich wurde gestoppt und auf Grund des Schnees nach Varto transportiert. So weit so gut. Dort wurde ich ins Polizeirevier gebracht, mir wurde Tee serviert, mein Pass woanders kontrolliert und ich gefragt, wo ich schlafen würde. Ich sagte, überall, nur nicht in einem Hotel. Zuerst wurde mir angeboten, ich könne dort schlafen, aber als ich meinen Pass zurück bekam, wurde ich rausgeschmissen – na schönen Dank auch… Also blieb mir nichts anderes übrig, als in die Dämmerung zu fahren. Im Dunkel fand ich dann einen Unterstand und schlief die erste Nacht im Schnee im Zelt. Das Aufbauen gestaltete sich etwas schwierig und etwas Warmes zu essen kochte ich mir auch nicht.

Am Samstag konnte ich mir dann aber in einem Café Nudeln kochen. Die Männer dort begutachteten meine Ausrüstung (vor allem den Benzinkocher), als ob er von der NASA stammte. Sie behaupteten, dass es in der Türkei nicht möglich sei, solche Artikel zu erwerben, was natürlich Blödsinn ist. Für die Nacht hatte ich mir ein Gebäude neben einer Tankstelle zum Übernachten ausguckt. Aber die Arbeiter wollten mich ein einem Nebenraum übernachten lassen. Anfangs lief auch alles gut. Wir aßen gemeinsam Abendbrot. Doch dann wurde es komisch und ich begann, mich unwohl zu fühlen. Mit dem Smartphone und Google-Übersetzer Fragen über Mädchen übersetzt, die sehr merkwürdig waren und keinen Sinn ergaben, ich wurde tausend Mal im Laufe des Abends gefragt, wie meine Reiseroute aussähe und zum Schluss wollte ein Typ sein 500€ Samsung Smartphone gegen mein 100€ LG tauschen. Es kostete viel innere Überwindung, aber ich hätte dort nicht eine Minute ein Auge schließen können. Ich fühlte mich nicht sicher und raffte mich um 23Uhr zusammen und eröffnete den erstaunten Männern, dass ich aufbreche. Sie kapierten es nicht, doch ich musste weg. In der nächsten Stadt wurde mir dann „Hey Baby, komm‘ mal rüber“ hinterher gerufen, was mein Sicherheitsgefühlt nicht steigerte. Um 1:30Uhr kam ich ziemlich erschöpft an einem Wasserwerk und Autofriedhof an. Im Wasserwerk brannte Licht doch erst nach 20 Minuten des Wartens, Klopfens, Rufens und einigen Schneebällen (wer geht davon aus, dass die Nachtschicht schläft?!) wurde mir von Chia Samid Einlass und Zuflucht gewährt. Bei ihm fühlte ich mich sicher und konnte sehr gut schlafen, bis auf Zahnschmerzen, die ich plötzlich hatte.

Am Sonntag, den 29.1, wollte ich bei Van den Nemrut Krater sehen. Die Straßen waren schneebedeckt und es war schwer, eine gute Spur zu finden. An der Kreuzung nach Tatvan, wo ich den Nemrut Krater sehen und im warmen Kratersee baden wollte, bemerkte ich, dass ich meine Handschuhe verloren hatte. Ich verlor 2,5 Stunden aber fand Gott sei Dank meine Handschuhe wieder. Leider war der Weg zum Krater unmöglich mit dem Fahrrad zu absolvieren. Es hielt auch niemand an, der mich mitgenommen hätte. Ich verwarf den Plan also und begab mich auf meine normale Route. Bei Bitlis wurde es bitterkalt, doch ich wurde einige Kilometer mitgenommen. Die Straße war ziemlich vereist, das Fahren etwas gefährlich und die Nacht verbrachte ich in einem mindestens hundert Jahre alten, dunklen und feuchten Gebäude.

Als ich am nächsten Tag weiter fuhr, bemerkte ich, dass die Felge meines Vorderrades (an)gebrochen war. Ich konnte zwar weiterfahren, aber nicht mehr vorne bremsen. Auf dem Weg nach Siirt ließ ich den Schnee hinter mir und trampte die letzten 25km in die Stadt. Im dortigen Fahrradladen wurde mir gesagt, 28-Zoll Felgen gäbe es in der Region nicht, ich könne aber ohne Probleme noch ein paar hundert Kilometer fahren.
Für meinen Weg nach Cizre entschied ich mich gegen die Hauptstraße über Sirnak, sondern für eine Nebenstraße über Güçlükonak. Was für eine Entscheidung! Eine herrliche Berglandschaft und der Tigris erwarteten mich ebenso wie zahlreiche Nomadenunterkünfte.

In einem Geisterdorf, es gab zwar Häuser, aber sie schienen alle unbewohnt, zu Fuße eines Militärstützpunktes, schoss ich natürlich ein paar Fotos, als ich aggressives Rufen hörte. Ich konnte es nicht orten, doch nahm es, sie kämen vom Stützpunkt. Aber ich verstand auch nichts. Daher ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen, denn wenn es etwas Ernstes gewesen wäre, wären im schlimmsten Fall wohl erst Warnschüsse abgegeben worden. Ich fuhr in aller Ruhe weiter und durfte die Nacht in der Moschee eines winzigen Dorfes verbringen. Basri schien der einzige Bewohner dort zu sein und er brachte mir sogar etwas zum Abendessen und am Dienstag durfte ich bei ihm frühstücken.

Siirt-Güclükonak
So fuhr ich am Dienstag, den 31.1, weiter nach Silopi. Die Straße nach Güçlükonak war durch den Schnee schwierig zu befahren und am Checkpoint des Dorfes durfte ich die erste von vielen folgenden Stunden warten, damit mein Pass kontrolliert werden konnte. Nach Cizre trampte ich dann auf Grund des kaputten Rades wieder ein Stückchen und durfte am Checkpoint wieder eine Stunde warten und meine Taschen öffnen. Es fand keinerlei Kommunikation zwischen den einzelnen Checkpoints ab – total chaotisch und sinnlos das Ganze. Mir wurde großspurig erklärt, zu meiner eigenen Sicherheit solle ich auf eine Eskorte durch die Stadt warten, da die Sicherheitssituation sehr instabil sei. ALLES Schwachsinn! Wenn Anschläge passieren, richten diese sich doch gegen die Polizei, die mit ihren Militärfahrzeugen und Checkpoints wie Besatzer auftreten und nicht gegen harmlose Fahrradtouristen.
Am Ende war es plötzlich doch sicher und als ich durch Cizre fuhr, wurde ich von allen Seiten von dem Leute mit lautem „Hallo“ begrüßt, ich fühlte mich alles andere als unsicher und gefährdet. Ich fuhr ohne Handschuhe und Mütze und ein Autofahrer hielt sogar an, um mir seine Mütze zu geben – unglaublich. So kontrastreich!
Ich fuhr weniger als hundert Meter von Syrien entfernt Richtung Irak und am Abend kam ich dann nach weiteren 15km im Pickup (wenn mein Fahrrad in einem Fahrzeug war, hatte ich beim Passieren der Checkpoints komischerweise keine Probleme) bei meinem großartigen Gastgeber Ridvan und seiner Familie in Silopi an.
Leider wurde ich auch dort nicht von der Polizei nicht in Ruhe gelassen – davon im nächsten Beitrag mehr.

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